Die Geschichte unserer Glashüttensiedlung
Die Geschichte einer Fabrik, dem Leben in der Siedlung und engagierter Menschen.
Nach Huettenmeister Gerd Noll wurde eine unserer Straßen benannt.
Quelle und ©: Stadtmuseum Oldenburg
Was war die Oldenburger Glashütte?
Im Jahr 1845 wurde die „Glasfabrik zu Drielake bei Oldenburg“ gegründet. Ab 1857 besaß sie einen eigenen Hafen ab 1880 eine eigene Reederei. Der kleine Handwerksbetrieb mit wenigen Arbeiter*innen wurde ab Ende der 1850er Jahre von der Oldenburger Glashüttengesellschaft übernommen und zu einem großen Industriebetrieb ausgebaut. Im Jahre 1891 wurden schon 664 Menschen beschäftigt. Die Entwicklung Osternburgs wurde maßgeblich durch die Entwicklung der Glashütte bestimmt.
Durch den Einsatz der automatischen Flaschenblasmaschine am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Glasmacher*innen nur noch als „Maschinenbediener*innen“ benötigt. Viele wurden entlassen. Die, die noch geblieben sind, waren in ihrem Beruf dequalifiziert, da nun eine Maschine ihre kunstvolle und aufwendige Arbeit erledigte.
Nach dem Ersten Weltkrieg verlor die Glashütte zudem Absatzmärkte im Ausland. Durch die massiv vorangetriebene Rationalisierung während der Weimarer Republik, war die Oldenburgische Glashütte nicht mehr konkurrenzfähig und musste 1932 zwischenzeitlich geschlossen werden. Als die Lage auf dem Flaschenmarkt 1935 besser wurde, nahm die Oldenburgische Glashütte den Betrieb mit etwa 100 Beschäftigten wieder auf.
Im Jahre 1957 ging die Oldenburger Glashütte in Konkurs. Sie wurde durch die Gerresheimer Glas AG übernommen, die den Betrieb grundlegend modernisierte. Erneut wurde die Glashütte zu einem der größten Industriebetriebe Oldenburgs: Im Jahr 1970 arbeiteten dort etwa 700 Menschen, die durchschnittlich 1,2 Millionen Flaschen und andere Glasprodukte am Tag produzierten!
Durch die Folgen der Wirtschaftskriese in den 1970er Jahren und den Rückgang der Nachfrage an Glasflaschen wurden im gesamten Gerresheimer Konzern Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt, ohne dass es jedoch zunächst Entlassungen in Oldenburg gab.
„Die Bürger*inneninitiative „Rettet unsere Glashütte“ sammelte über 3.000 Unterschriften gegen die Schließung. Ihr Aufruf: Unsere Glashütte darf nicht sterben, damit Osternburg lebt.“
Anfang Januar 1983 wurde die Belegschaft überraschend vor vollendete Tatsachen gestellt: Es sollten 424 Beschäftigten entlassen werden. Die Oldenburgische Glashütte wurde am 31. Mai 1983 geschlossen. Die zahlreichen Proteste der Belegschaft, die durch Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Parteien und der Stadt Oldenburg unterstützt wurden, konnten die Stilllegung der Glashütte jedoch nicht verhindern.
Eine Werbung der Oldenburger Glashütte.
Quelle und ©: Stadtmuseum Oldenburg
Heinrich Feyen an fast fertiger Flasche (um 1937). Quelle und ©: Stadtmuseum Oldenburg
Eisverkaeufer Theo Stillan. Quelle und ©: Stadtmuseum Oldenburg
Werkssiedlungen der Oldenburgischen Glashütte
Die Oldenburgische Glashütte prägte insbesondere durch ihre Werkssiedlungen das Erscheinungsbild Osternburgs erheblich. Sie beuten in etwa 220 Wohnungen, die zunächst nur den Glasmachern vorbehalten waren. Neben der heute erhaltenen Arbeiter*innensiedlung in der Noll- und Behrensstraße, die damals „Kamerun“ genannt wurde, gehörten der Oldenburgischen Glashütten folgende weitere Werkssiedlungen: „Roter Strumpf“ an der Ecke Nordstraße/Hermannstraße, „Sansibar“ gegenüber der Glashütte an der Stedinger Straße und „Kreta“ im Dreieck Voßstraße/Glashüttenstraße/Drielaker Straße. Alle Siedlungen wurden mit dem Konkurs der Glashütte 1957 verkauft und über die Jahre stark verändert. Anders als unsere Siedlung, die in den 1980er Jahren unter Denkmalschutz gestellt wurde und dadurch vollständig erhalten bleiben konnte, bestehen die anderen ehemaligen Siedlungen nicht mehr als Komplex. Es sind lediglich einzelne Häuser erhalten.
Günstiger Wohnraum versus Repressionsmittel
Sämtliche Werkswohnungen wurden von der Firma Westerholt gebaut. Die Wohnungen waren um ein Vielfaches günstiger als auf dem freien Wohnungsmarkt. Zudem reduzierte sich die Miete nach fünf und nach zehn Jahren. Ob die Werkswohnungen jedoch eine Wohltat oder ein Druckmittel darstellten wird immer wieder diskutiert. Sicherlich waren die Wohnungen auf der einen Seite günstig. Auf der anderen Seite stellten sie eine zusätzliche Kontrolle der Fabrik über die Arbeiter*innen: Die Arbeiter*innen wurden spontan, auch nachts, zur Schicht geholt. Verhielten sich die Arbeiter*innen nicht gemäß der Fabrikdisziplin oder streikten diese sogar, konnten sie nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch gleichzeitig ihre Wohnung verlieren. So wurden beispielsweise bei einem großen Streik der Arbeiter*innen im Jahre 1894 Streikende auf Anweisung der Direktion aus ihren Wohnungen geworfen. Die betroffenen legten dagegen Widerspruch vor Gericht ein. Sie verloren jedoch den Prozess: Der damalige Richter sah die Werkswohnungen als Teil des Arbeitslohnes, der den Streikenden vom Betrieb dann auch im Streikfalle vorenthalten werden könne.
Woher kommt der Name unserer Straßenzüge?
Die Namen Nollstraße und Behrensstraße der Glashüttensiedlung wurden von der Hüttenleitung gegeben. Sie bedachte damit zwei Meister der Glashütte. Dieses ist insofern ungewöhnlich, als dass normalerweise solche Straßen eher nach den Werkseigentümer*innen oder ihren Ehefrauen und Töchtern benannt wurden.
Ein Mitarbeiter auf der Werkslokomotive an der Oldenburger Glashütte. Quelle und ©: Stadtmuseum Oldenburg
Wie haben die Menschen hier gelebt?
Die Häuser waren sehr einfach gebaut: Sie haben einen zweischaligen Mauerbau mit Hohlschicht; das Dach besteht lediglich aus dem Gebälk und den Ziegeln; es gab damals keinerlei Dämmung, was bis heute so geblieben ist.
Heinrich Lippert, Sohn einer Glasmacherfamilie und ehemaliger Bewohner der Glashüttensiedlung sagt dazu folgendes:
„Die Schrägen in den Kammern waren nicht aus Stein und verputzt, sondern geflochtenes Strauchwerk, und da war Putz drangeschmissen. Ich weiß nicht, ob es heute noch ein Haus gibt, wo das so ist.“
Dazu können wir sagen, dass die Schrägen bis heute größtenteils genauso erhalten sind.
Als die Siedlung gebaut wurde, gab es kein fließend Wasser in den Häusern, keine Kanalisation, keine Toiletten oder Bäder. Mit dem Bau von Toiletten wurde erst in den 1960er Jahren begonnen. Auf der großen Gemeinschaftswiese standen Schuppen, in denen Kleinvieh gehalten wurde (Schweine, Hühner…). An diesen Schuppen waren gemeinschaftliche Plumpsklos gebaut. Zwischen den Schuppen und den Häusern befanden sich Kleingärten, in denen die Bewohner*innen Obst und Gemüse zur Selbstversorgung anbauten. Der Mangel an Brennstoffen führte dazu, dass in den Wohnungen meist nur die Küche als gemeinsamer Aufenthaltsraum beheizt wurde. Durch die fehlende Isolierung war es so im Winter sehr kalt, sodass sich Raureif an den Innenwänden bildete. Bis heute ist es in den Dachgeschosswohnungen im Winter sehr kalt und im Sommer extrem heiß. Etwa alle zwei Wochen war Waschtag: gewaschen wurde in großen Kesseln in den jeweiligen Küchen. Die damaligen Bewohner*innen beschwerten sich zunehmend über das Waschen in den Häusern und erwirkten, dass in den 1950er Jahren die ersten Gemeinschaftswaschküchen gebaut wurden. In den 1970er Jahren wurden aus Hygienegründen die Ställe abgerissen und neue Waschküchen gebaut.
Heute stehen im vorderen Bereich der Siedlung Garagen, während sich im hinteren Bereich ein Spielplatz und Kleingärten anschließen.
Vereine der Glasmacher*innen.
Die Arbeiter*innen bildeten verschiedene Vereine. Gesangsvereine wie beispielsweise die „Arbeiterliedertafel“ dienten insbesondere während der Zeit der Verfolgung von Sozialist*innen als Deckmantel für politische Versammlungen.
Fast jeder*r Glasmacher*in war Mitglied in einem Gesangs-, Musik- oder Turnverein.
Was geschah nach der Schließung der Glashütte?
Nach der Schließung der Oldenburger Glashütte war zunächst unklar, was mit der Glashüttensiedlung „Kamerun“ geschehen würde. Als Werksiedlung hat sie ohne zugehörige Firma keinen Eigentümer. Daher hatten die Bewohner*innen Angst, dass sie ihre Wohnungen verlieren könnten. Eine weitere Sorge bestand darin, dass die Siedlung von Investoren gekauft und zu einem Spekulationsobjekt gemacht wird, so dass die ursprünglichen Mieter:innen verdrängt werden.
Obwohl sich die Bewohner*innen dafür einsetzten und dabei von verschiedenen politischen Parteien unterstützt wurden, wollte und konnte die Stadt Siedlung zu der Zeit nicht kaufen. So wurde die Siedlung zum 1. April 1984 von der Gerresheimer Glas AG an die Investoren Helmchen/ Meis verkauft. Die Bewohner:innen schlossen sich in einer Mieter*inneninitiative zusammen und kämpften, um ihre Siedlung und ihre Wohnungen. Nach der Insolvenz des Investors im Sommer 1990 ersteigerte die Bau- und Wohngesellschaft (GSG) die Siedlung im Sommer 1990 zu einem sehr günstigen Preis. Die Mietverhältnisse der Bewohner:innen schienen damit für die Zukunft gesichert zu sein.
Einige der Glashüttenarbeiter*innen sind mit ihren Familien in der Siedlung wohnen geblieben. Hinzu kamen Menschen, die nicht auf der Hütte gearbeitet hatten. Viele Menschen fanden hier einen Platz, an dem sie in Würde und guter Gemeinschaft leben konnten.
Straßenfest in der Oldenburger Glashüttensiedlung. Quelle und ©: Stadtmuseum Oldenburg